Am 17.Mai hat Gerald Hüther einen Vortrag "Auf Augenhöhe" gehalten. Seine Herleitung und seine Ausführungen zum Bindungs- und Erlebnishunger von uns Menschen, egal ob klein oder gross, haben mir meine im Grundgesetz verbriefte Würde und die Würde meiner Mitmenschen erneut ins Bewusstein gerufen. Und er ruft in seinem gut 40-minütigen Vortrag zum Erkennen von Verführung durch Machthungrige und Umsatzhungrige auf. Denn mit jeder Verführung verwickeln wir uns in fremdgestaltete Strukturen und vor lauter Verwicklung versäumen wir die eigene Entwicklung und die Entdeckung unseres ganz persönlichen Anliegens. Absolut sehenswerter Vortrag!

Um den Appetit auf den Vortrag weiter zu steigern, möchte ich seine Vorstellung von Anliegen hier mit meinen Worten wieder geben:

Ein persönliches Anliegen hilft uns (fast) alles zu ertragen, denn uns liegt ja daran, dieses Anliegen realisiert zu sehen. Als Beispiel: wir ertragen viele Jahre die Prüfungen, die Anschnauzer von Eltern, Lehrern, Pädagogen und durchleiden die Nächte des Lernens um unseren Traum zu erfüllen: wir wollen Mechaniker*in, Techniker*in, Ingenieur*in oder Krankenpfleger*in werden. Irgendwann haben wir unser Anliegen realisiert, wir sind (aus)gebildet. Und jetzt? Jetzt haben wir möglicherweise kein Anliegen mehr.  Aber auf dem ganzen Weg zur Erreichung unseres Anliegens sind wir immer weiter verführt und verwickelt worden in die Notwendigkeiten des modernen, materiellen und digitalen Lebens. Möglicherweise tritt kein neues, wirklich persönliches Anliegen auf den Plan. Als Arzt eröffne ich eine Praxis, streite mich mit Krankenkassen, mit Patient*innen, Abrechnungen und Personal ... setze mir und dem Team immer "smartere" Ziele ... und das Ganze nur, um noch mehr Geld zu verdienen um verschiedenste Bedürfnisse zu befriedigen, die möglicherweise von Verführer*innen herangetragen und von mir verinnerlicht wurden. 

Hüther stellt am Beispiel des Arztes das Anliegen "Ich will die Menschen heilen" vor. Dieses übergeordnete Anliegen würde die Ausbildung zum Arzt zum Zwischenschritt erkären. Danach bleibt das Anliegen "Menschen heilen" nach wie vor bestehen und wird mit dem nächsten operativen Ziel weiter verfeinert und so das "Mensch heilen" weiter verbessert. Als einzelner Arzt wird man nie alle Menschen gesund machen, das Anliegen "DIE Menschen zu heilen" bleibt also für immer unerfüllt, aber im täglichen Handeln erfolgt immer wieder eine Annäherung.


Über diese Zusammenhänge aufzuklären ist das Anliegen von Gerald Hüther -was für ein Anliegen!

Mir ermöglichen diese Zusammenhänge das Verstehen zweier Dinge:

  • wenn junge Menschen sich unserer Gesellschaft und unserer "Tretmühle" verweigern, dann tun sie das in der - möglicherweise unterbewussten - Klarheit, dass die Entdeckung und Entwicklung ihres eigenen Anliegens dadurch verhindert wird: die Klimakatastrophe wird mit den bestehenden Strukturen und aktuellen Akteuren wie Trump und Bolsonaro nicht verhindert. Das ist den Friday-for-Future-Aktiven und vielen anderen Startups, Bewegungen, Gruppen ... klar.
  • wenn ein Unternehmen über die monetären, kurzfristigen und fremdbestimmten taktischen und operativen Ziele hinaus kein Anliegen, keine Vision hat, mit der sich die Mitarbeiter*innen im Unternehmen verbinden können, dann ... wehren sich die Mitarbeiter*innen bewusst oder unterbewusst und leben ihren Bindungs- und Erlebnishunger in anderen Anliegen aus, im schlimmsten Fall sogar gegen das Unternehmen.

Viel Spass beim Hören und Sehen des Vortrags von Gerald Hüther!